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Jedes Jahr zu Kathis Geburtstag versuche ich irgendetwas Besonderes zu unternehmen und den Tag schön zu gestalten. Heuer plane ich mit meinen Enkelinnen Emilia und Elisa auf den Schneeberg zu fahren und zwar mit der grün-gelben Salamanderbahn. Schon als Dreijährige haben die beiden, wenn sie den schneebedeckten Berg in der Ferne gesehen haben, gefragt: „Können wir dorthin auf Urlaub fahren?“. Mittlerweile wissen sie, dass für den Schneeberg ein Tagesausflug ausreichend ist. Aber über die Salamanderbahn kann nicht verhandelt werden, daran gibt es nichts zu rütteln. Wir mussten den Ausflug schon öfters aus den unterschiedlichsten Gründen verschieben. Heute am 23. August 2024, an Kathis Geburtstag, wollen wir das Abenteuer endlich in Angriff nehmen.

Ich bin immer wieder erstaunt über die Gedankenwelt von Fünfjährigen. Ihre Fantasie und ihre Kombinationsgabe erstaunen mich immer wieder. Irgendwann habe ich den beiden einmal erzählt, dass der Schneeberg der höchste Berg von Niederösterreich ist und somit auch der höchste Berg in unserer unmittelbaren Umgebung. Aus dieser Information und dem Umstand, dass Kathi Geburtstag hat, wollen die beiden ein Geschenk für Kathi mitnehmen. Das soll beim Gipfelkreuz abgelegt werden, weil beim Gipfelkreuz sind wir dem Himmel am allernächsten. Nicht nur für Tante Kathi gibt es ein Geschenk, sondern auch für Kathis heiß geliebte Großmutter, die Urli-Oma der Zwillinge. Mit viel Eifer (die Mimi) und mit ein bisschen weniger Eifer (die Elisa) werden flache Steine gesammelt, gründlich gewaschen und farbenfroh bemalt. Kathi soll einen Stein mit Regenbogen und Rosen bekommen. Für die Urli-Oma wird der Stein mit einer Kirsche bemalt. Elisa, unsere kleine gewiefte Minimalistin, hat ihren Stein einfärbig blau angemalt und für die weitere Ausschmückung die Mama hinzugezogen. Keine Zeit, keine Zeit!

Zwei Tage vor Kathis Geburtstag präsentieren mir Mimi und Elisa freudestrahlend ihre Kunstwerke. In meinem Kopf beginnt es augenblicklich zu rattern. Ich habe die Tickets für die Salamanderbahn nicht reserviert! Ich telefoniere sofort aufgeregt mit dem Verkaufsbüro, ziehe alle Register, drücke auf die Tränendrüsen. Doch vergeblich, es gibt keine verfügbaren Tickets mehr. Um die Mädchen nicht zu enttäuschen, murmle ich noch etwas von technischem Gebrechen und habe gleichzeitig ein fürchterlich schlechtes Gewissen. Die einzig sinnvolle Alternative, die mir in der Not einfällt, ist eine Fahrt mit der Gondel auf die Rax. Wir brauchen dringend einen Berg, ein Gipfelkreuz und den Himmel, und zwar ganz nah!

Als ich Mimi und Elisa am Morgen ins Auto verfrachte, sind sie immens aufgeregt und plappern unaufhörlich. „Du Gitti Oma, stell dir vor, die Salamanderbahn ist gebrochen“, teilt mir Elisa entrüstet mit. Ich gehe besser nicht näher darauf ein und schwärme von der bevorstehenden Gondelfahrt. Mimi äußert noch kurze Bedenken, sie könnte Höhenangst bekommen. Dafür hat Elisa die passende Lösung parat. „Mimi, du darfst nicht nach unten schauen!“, belehrt sie ihre wenige Minuten jüngere Zwillingsschwester. Die Autofahrt vergeht wie im Flug und schon stehen wir in der Gondel. Alle Ängste haben sich in Luft aufgelöst, wir sind begeistert von der Fahrt und der herrlichen Aussicht.

Auf der Bergstation angelangt ist mir bald klar, dass das Gipfelkreuz auf der Rax nicht so einfach zu erklimmen ist. Die Begeisterung der Mädchen für lange Fußmärsche hält sich definitiv in Grenzen und sie erklären mir sofort, dass sie auf keinen Fall so weit gehen wollen. Auch nicht für die Tante Kathi. Zum Glück finden wir auf dem Weg zum Ottohaus ein Marterl am Rand eines Pfades. Mit einem Kreuz, einem Heiligenbild, bunt geschmückt mit Blumen. Wir sind uns schnell einig, dass das der ideale Platz für die mitgebrachten Geburtstagsgeschenke ist. Geschäftig wird der Rucksack ausgepackt und die Anordnung der drei Steine sorgt für Diskussionen zwischen den beiden Schwestern. Doch schließlich liegen sie perfekt. Der Regenbogenstein, der Kirschenstein und der blaue Stein mit den weißen Blumen. Wir begutachten noch einmal stolz unseren Gabentisch und wandern dann weiter zum Ottohaus. Unterwegs dorthin beteuern die beiden nochmals, dass es bis zum Gipfelkreuz viel zu anstrengend wäre. Das glaube ich ihnen aufs Wort. Ich muss die beiden mit allerhand Versprechungen, wie Mannerschnitten und Almdudler, bei Laune halten.

Am Rückweg kommen wir, frisch gestärkt von unserer Jause, wieder am Marterl vorbei. Oh Schreck! Der Stein mit dem Regenbogen fehlt. Er ist spurlos verschwunden. „Vielleicht hat ihn die Kathi schon abgeholt?“, rätselt Mimi. „Aber warum hat sie nur einen mitgenommen?“, möchte Elisa wissen. Ich möchte auf keinen Fall, dass sie traurig sind und die Stimmung kippt und komme mit meiner Theorie. „Vielleicht hat ein Wanderer, der bis zum Gipfelkreuz geht, den Stein mitgenommen? Er wusste vielleicht, dass der Weg für euch zu anstrengend ist.“ Die nächste Idee kommt von Elisa. „Vielleicht hat jemand gedacht, das ist ein Wanderstein und hat ihn mitgenommen.“. „Aber warum hat er dann keinen anderen Stein dagelassen?“, wundert sich Mimi.

So geht es eine Weile hin und her mit all unseren Überlegungen. Die beiden sind schon müde, das merke ich. Letztendlich einigen wir uns darauf, dass ein Windstoß den Stein erwischt und weggeweht hat. Mit dieser Erklärung sind wir alle drei zufrieden. Alles ist so einfach, kein Grund für ein Drama. Wir haben unser Vorhaben umgesetzt, wir sind zufrieden und glücklich.

Zurück im Auto schlafen die beiden auf der Stelle ein. Schön war es!

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