
Ich spreche heute mit meiner lieben Freundin Claudia. Claudia hat der Tod ihres Lebensgefährten Günter völlig unerwartet getroffen. Gerade zu einem Zeitpunkt, als sich beide auf eine gemeinsame, ereignisreiche und unbeschwerte Zukunft gefreut haben. Ihre Kinder waren längst aus dem Haus, brauchten keine großartige Unterstützung mehr, ihrer beider Jobs waren gesichert, das Haus abbezahlt. Endlich war für die beiden die Zeit gekommen, das Leben in vollen Zügen zu genießen. Doch es kam ganz anders.
Claudia, Günters Tod kam völlig überraschend. Hattest du eine Vorahnung?
Nein, ganz und gar nicht. Obwohl, aus unerklärlichem Grund haben wir einen Tag vor seinem Tod darüber gesprochen, was ich denn zu tun hätte, wenn er plötzlich verstirbt. Wie er sich seinen letzten Weg vorstellt, was ihm wichtig wäre. Seit dem Tod meines Vaters habe ich dieses Thema immer wieder angeschnitten, weil es mich einfach beschäftigt hat. Irgendwie war Günter nie richtig darauf eingestiegen, es blieb ein Tabuthema mit vielen Fragezeichen.
Wie hast du Günters Tod erlebt? Was ist dir davon heute noch in Erinnerung?
Am Sonntag, dem 4.12.2022 bin ich wie immer vor Günter aufgestanden und habe ein paar Dinge im Haushalt erledigt. Ich habe die Zeit am Sonntagvormittag genossen, es gab keinen Stress, wir lebten unseren unterschiedlichen Rhythmus. Alles war gut.
Nachdem es aber schon auf Mittag zuging, wollte ich ihn dann doch wecken. Ich bin ins Schlafzimmer gegangen und habe bemerkt, dass er sich nicht bewegt. Günter hat mich oft erschreckt und sich schlafend gestellt, um mich dann plötzlich und unerwartet mit lautem Geschrei und Gelächter aus der Fassung zu bringen. Das blieb diesmal aus. Ich habe ihn gefragt, ob er nicht aufstehen will, und seine Hand gestreichelt. Da habe ich bemerkt, dass er sich kalt anfühlt. Ich habe seine Hand genommen und ihn in Panik geschüttelt und angeschrien. Sehr schnell habe ich registriert, dass ich ihm nicht mehr helfen kann.
Wie hast du darauf reagiert? Warst du in der Lage zu handeln?
Ich habe den Notruf gewählt und bin nicht durchgekommen. Da fiel mir ein Kollege ein, der ehrenamtlich beim Roten Kreuz arbeitet. Seine Nummer habe ich dann gewählt. Er hat sofort verstanden, was los war. Hat mich instruiert, was ich tun muss, und die nächsten Schritte in die Wege geleitet.
Für mich war es einfach unfassbar. Aber wie schon oft in außergewöhnlichen Situationen, habe ich einfach funktioniert. Als dann alle Rettungskräfte im Haus waren und mir ein Sanitäter und anschließend auch der Notarzt mitteilten, dass es leider keine Hilfe mehr gegeben hat, er an einem Herzinfarkt ohne Kampf einfach verstorben war und das bestimmt schon in den frühen Morgenstunden geschehen ist, war es schwer das alles zu begreifen. Ich habe mir Vorwürfe gemacht, ihn nicht früher geweckt zu haben. Vielleicht hätte ich das Drama verhindern können? Aber es musste passiert sein, als ich selbst noch geschlafen habe.
Warst du in der Situation alleine?
Für mich war klar, ich muss meine Töchter informieren. Meine Kinder kenn‘ ich besser als seine und ich hatte eine Ahnung, wie ihre Reaktion sein würde. Günters Kinder zu informieren, das war eine große Herausforderung für mich. Ich wollte aber nicht, dass jemand Fremder die Nachricht überbringt. Ich habe mich dann für den Anruf bei Anna entschieden, seine mittlere Tochter. Sie schien mir am gefestigsten zu sein.
Nach etwa einer Stunde hatte ich volles Haus: Sanitäter, Notarzt, meine und Günters Kinder, ein Kriseninterventionsteam, alle waren da. Ich hatte Unterstützung und Hilfe.
Was war das Schlimmste für dich?
Sehr schlimm habe ich es empfunden, als die Bestattung kam und Günter dann im Wagen weggebracht wurde. Wir sind auf der Straße gestanden und haben dem Auto nachgeschaut.
Was hat dir in der ersten Zeit der Trauer geholfen? Wie konntest du dich motivieren, weiterzumachen?
Die ersten Tage bis zur Beerdigung habe ich gut funktioniert, es gab vieles zu organisieren und ich habe mit den Kindern alle Wege erledigt.
Mir war klar, dass mein Leben weitergeht, obwohl ich zwischendurch meine Zweifel hatte, wie ich das alles bewerkstelligen sollte. Ich fühlte mich so alleingelassen.
Viele tolle Freunde, ein gutes soziales Umfeld, meine Kolleginnen und Kollegen und das Verständnis meines Arbeitgebers haben mir gezeigt, dass ich vielen Menschen wichtig bin und dass ich gut eingebettet bin in einen großen Kreis lieber Menschen, mit jeder Art der Unterstützung rechnen kann.
Wie hat dein Umfeld reagiert – was hat dich gestützt, was hast du als das Gegenteil empfunden?
Die meisten waren betroffen und haben ihre Hilfe angeboten. Meine Kinder sind eine Zeit bei mir geblieben und haben mich auch später täglich angerufen. Sie haben oft nachgefragt, wie es mir geht. Bis ich dann von mir aus gesagt habe, dass ich das nicht mehr möchte.
Befremdlich war es teilweise in der Arbeit, weil mir Kolleginnen und Kollegen aus dem Weg gegangen sind und eine Begegnung mit mir gemieden haben. Aber nicht jeder ist gleich und kann damit umgehen. Ich wollte nur ganz normal behandelt werden, aber das hat sich alles in kurzer Zeit eingependelt.
Wie würdest du nun damit umgehen, wenn du jemanden zu trösten hättest?
Ich würde immer zuerst fragen, ob der oder die Betroffene reden möchte. Ich würde offen und ohne Scheu auf jemanden zugehen, seine Reaktion abwarten. Ich würde zuhören und versuchen, gut zuzureden, aber das ist sehr individuell, je nachdem wie gut man den Hinterbliebenen kennt und wie eng die Freundschaft ist. Ich würde meine Unterstützung anbieten und fragen, ob ich mich melden darf, damit ich nicht als aufdringlich empfunden werde.
Hast du Lehren aus dem plötzlichen Tod gezogen und handelst jetzt anders, als du es vorher getan hast? Hast du dich verändert?
Bestimmt gehe ich mit dem Tod und dem Sterben anders um als früher. Es gehört zum Leben und ich weiß, dass manche viel zu früh gehen müssen. Trotzdem muss man es annehmen, weil es nicht zu ändern ist.
Man empfindet es als ungerecht und kann es nicht begreifen, aber das eigene Leben geht weiter und ich versuche das Beste daraus zu machen.
Wie behältst du Günter in deinem Leben, welche Erinnerungen sind nach wie vor wach?
Günter wird immer Teil meines Lebens bleiben. Viele schöne Erlebnisse, Urlaube, Fotos und auch tragische Ereignisse haben uns 14 Jahre zusammengeschweißt. Wir haben uns gegenseitig unterstützt und waren immer füreinander da. Es gab gute und weniger gute Zeiten. Wir mussten uns zusammenraufen, haben aber immer daran gearbeitet, dass unsere Beziehung und Liebe funktioniert. Nach wie vor habe ich guten Kontakt zu Günters Kindern, das ist mir auch sehr wichtig.
Danke, liebe Claudia, für deine Offenheit!