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Über das heutige Gespräch freue ich mich ganz besonders, weil ich Dagmar scheinbar zufällig begegnet bin. Scheinbar nur deshalb, weil wir beide einen gemeinsamen Freund haben, aber bislang nichts davon wussten. Ich würde sogar glauben, dass unsere Begegnung ein Zeichen dafür ist, dass alles im Leben irgendwie zusammenhängt. Dagmar ist diplomierte Krankenschwester und unterrichtet seit einigen Jahren PflegefachassistentInnen in Palliativ Care im Campus Donaustadt. Unser gemeinsamer Freund Klaus fungiert dort als geduldiger Simulationspatient für die Auszubildenden. Klaus hat mich wiederum in Kathis Buchprojekt mit seiner technischen Expertise unterstützt und tut das auch jetzt bei meinem Blog. Als Klaus dann zufällig im Unterricht Kathis Buch „Kirschhäubchen“ auf dem Tisch liegen sah, war die Überraschung groß. Und schnell konnte der Zusammenhang aufgeklärt werden.

Liebe Dagmar, ich freue mich, dass wir uns gefunden haben. Wie hast du Kathi damals kennengelernt? Woher kanntet ihr euch?

Ich war viele Jahre Krankenschwester auf der Onkologie der Station 18 H im AKH Wien. Als Kathi dort 2014 aufgenommen wurde, war ich auch für sie zuständig. Sie war eine meiner interessantesten und coolsten Patientinnen, wenn ich das so sagen darf. Sie wusste über ihren kritischen Zustand Bescheid, setzte sich mit ihrer Krebserkrankung bewusst auseinander. Ich habe sie immer bewundert, mit welcher Gefasstheit sie ihrem Schicksal entgegengetreten ist. Sie ließ sich trotz der Rückschläge und Beschwerden nicht unterkriegen, sie war eine Kämpfernatur. Das war bemerkenswert und wird mir immer in Erinnerung bleiben.

Erinnerst du dich noch, wie ihr ins Gespräch gekommen seid?

Ja, das tue ich, und zwar ziemlich genau. Wir hatten als Krankenschwestern ein neues Aufgabengebiet übernommen, das Anstechen des Port-a-Cath (ein unter der Hautoberfläche liegender Zugang für Infusionen). Kathi hatte gerade einen Port-a-Cath implantiert bekommen und ich war dafür zuständig, ihr die erste Infusion zu verabreichen. Ich war fürchterlich nervös, wollte ihr auf keinen Fall wehtun. Kathi hat das sofort bemerkt und zur Ablenkung zu erzählen begonnen. So habe ich sie kennengelernt und die Gespräche mit ihr wurden zu einer lieben Gewohnheit. Sie war ein unwahrscheinlich offener und herzlicher Mensch, man musste sie einfach gernhaben. Kathi hat uns alle auf der Station sehr berührt. So ein junger Mensch, das lässt niemanden kalt. Sie hat mir auch von ihrem Blog erzählt, den ich dann regelmäßig gelesen habe. Es war interessant, Einblick in die Sichtweise einer Patientin zu bekommen. Und ich habe mich sehr gefreut, dass du das Buch für sie fertiggestellt hast. Das war ihr größter Wunsch.

Ich habe jahrelang darunter gelitten, dass ich Kathis Hand nicht halten konnte, als sie gegangen ist. Ich dachte, ich hätte sie im entscheidenden Moment alleine gelassen. Die Frage fällt mir selbst schwer. Hast du sie an ihrem letzten Tag gesehen?

Nein, ich war auch nicht bei ihr. Ich hatte am Tag vor ihrem Tod noch Dienst. Ihr Zustand war bereits kritisch, es war irgendwie absehbar, dass es zu Ende geht. Ich habe das gefühlt, obwohl sich ein genauer Zeitpunkt nicht abchätzen lässt. In all den Jahren hat man sich hier leider ein Wissen darüber angeeignet. Aus meiner Erfahrung kann ich dir sagen, dass Sterbende oft gerne alleine fortgehen, dass sie das bewusst so wählen.

Wie kann man als Krankenschwester damit umgehen, wie steckt ihr das weg?

Weißt du, wenn man die Patienten begleitet, ihren Kampf und ihr Leiden sieht, ihre Verzagtheit und ihre Müdigkeit mitansehen muss, dann ist man auch erleichtert, dass das nun vorbei ist. Wir bemerken die Anzeichen, wenn ein Patient bereit ist. Er zieht sich innerlich zurück, kapselt sich ab. Als Angehöriger mag man das nicht sehen, wahrscheinlich ist es Selbstschutz. Manchmal glaube ich, dass ein Mensch spürt, dass ihm nur ein kurzes Leben zu Verfügung steht. Diese Menschen leben viel rasanter, viel intensiver als andere. Als müssten sie so viel wie möglich aus ihrer Zeit herausholen.

Du bist jetzt Vortragende und arbeitest nicht mehr im AKH. Warum hast du gewechselt?

Irgendwann ist es genug, irgendwann kann man sich nicht mehr ausreichend abgrenzen. Man nimmt die Geschichten mit nach Hause. Ich war 17 Jahre lang gerne Schwester auf der Onkologie. Auf die Station 18 H kamen nur schwere Fälle. Krebskranke, deren Aussicht auf Heilung schon von Anfang an gering war. Achtzig Prozent überleben ihre Krankheit nicht. Es ist schwer, dem Tod so häufig zu begegnen und bei einem jungen Menschen ist die Betroffenheit noch viel größer. Ich habe auf der Krebsstation viel Demut vor dem Leben mitgenommen. Ich habe es geschätzt, eine persönliche Beziehung zu meinen Patienten aufzubauen, sie soweit es mir möglich war, zu unterstützen. Wir haben auch im Team vieles besprochen, uns gegenseitig gestützt. Das war sehr wichtig, um die Belastung auszuhalten.

Wie unterscheidet sich deine jetzige Tätigkeit von der Zeit als Krankenschwester?

Ich unterrichte jetzt PflegefachassistentInnen in einem Lehrgang für Palliativ Care, der sich über einen Zeitraum von zwei Jahren erstreckt. Ich kann dort viel einbringen aus meiner Tätigkeit auf der Krebsstation. Würde ich wieder in die Pflege zurückkehren, wäre mein Platz definitiv auf einer Palliativstation. Dort herrscht eine andere Atmosphäre. Hier gibt es den Kampf, Heilung um jeden Preis, nicht mehr. Das Zwischenmenschliche rückt in den Vordergrund, es ist insgesamt friedlicher. Der Fokus liegt auf der Schmerzbehandlung und nicht mehr auf der Symptombehandlung. Sich Zeit für ein Gespräch zu nehmen ist viel hilfreicher, als Medikamente zu verabreichen. Aber zurzeit erfüllt mich meine Lehrtätigkeit sehr und ich möchte sie nicht missen. Ich habe meinen SchülerInnen auch von Kathis Buch erzählt und es herumgereicht. Ich möchte es in den Unterricht einbauen, weil es wichtig ist zu wissen, wie sich ein Patient fühlt. Darum geht es letztendlich.

Liebe Dagmar, vielen Dank für deinen Beitrag. Für mich ist es wunderschön zu hören, dass Menschen wie du sich um Kathi gekümmert haben. Es ist tröstlich zu wissen, dass Patienten wahrgenommen werden. Ich bringe dir wirklich gerne ein paar Bücher vorbei!

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