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Marianne und ich setzen unser Gespräch fort. Mich interessiert vor allem, wie sie es geschafft hat, die tiefe Trauer zu überwinden und wieder positiv und zuversichtlich durchs Leben zu gehen.

Wie war die Zeit unmittelbar nach Gerhards Tod für dich? Was ist dir davon noch in Erinnerung?

Gleich nach Gerhards Tod war ich sehr beschäftigt. Man nimmt die Realität gar nicht so wahr, weil man so viel zu erledigen hat. Ich habe einwandfrei funktioniert. Ich organisierte sein Begräbnis, versuchte es nach seinen Wünschen auszurichten. In der Kirche hatten wir eine Leinwand aufgebaut und Gerhards Leben in Bildern vorüberziehen lassen. Wir haben seine Lieblingsmusik gespielt und enge Freunde hielten Trauerreden. Es war eine schöne Feier und ich erinnere mich heute noch gerne daran. Aber irgendwann ist alles getan. Und dann wird es ruhig, dann tut es weh. Man spürt die Leere und die Einsamkeit. Gerhard und ich haben immer viel miteinander gesprochen, wir haben damit alle Probleme gelöst, uns über alles verständigt. Aber dann war da niemand mehr, der Antwort geben konnte.

Was würdest du jemanden mitgeben wollen, der mit dem Verlust eines geliebten Menschen zurechtkommen muss?

Wir hatten Gott sei Dank Zeit, um voneinander Abschied zu nehmen. Wir wussten, worauf wir uns einzustellen hatten. Ich glaube, dass die Bindung bis zum Schluss das Wichtigste ist. Viel wichtiger als jede hoch entwickelte Medizin. Sterben und dabei begleiten ist nichts für Feiglinge. Du kannst dich nicht entziehen. Irgendwann bist auch du an der Reihe, bist involviert oder vielleicht selbst betroffen. Man muss die Zeit nutzen, die man hat. Muss kreativ bleiben, interessiert sein. Man muss leben! Mit aller Kraft. Aus meiner Praxis und den Gesprächen mit Patienten weiß ich, dass die Trauer am schwierigsten ist, bis man endlich akzeptiert, was passiert ist. Wenn ich es annehmen kann, wenn die Wut und die Verdrängung vorbei sind. Dann kann ich mir Gedanken machen, was brauche ich jetzt, was lässt mich lebendig sein.

Könntest du sagen, welche Phasen du in der Trauerbewältigung durchlaufen hast? Wann du gemerkt hast, dass es eine Weiterentwicklung gibt?

Ich glaube, mein Zustand nach Gerhards Tod lässt sich nicht konkret in verschiedene Abschnitte einteilen. Die Trauer kommt und geht, folgt keinem Schema. Ich weiß nur, dass ich anfangs an starken körperlichen Schmerzen litt. Ich verlor an Gewicht und war psychisch schwer angeschlagen. Im zweiten Jahr nach seinem Tod stellte sich für mich die Frage nach dem Sinn. Was ist jetzt wichtig? Irgendwo öffnete sich ein Entwicklungsfenster. Mir wurde klar, dass meine Kinder eine gesunde Mutter brauchen, wenn sie schon keinen Vater mehr haben. Eine Mutter, die nicht nur klagt und jammert.

Was hast du unternommen, um dich wieder besser zu fühlen?

Ich war viel in der Natur. Bei meinen Spaziergängen im Wald fand ich die nötige Ruhe. Ich hörte dabei Musik und achtete bewusst darauf, was mir guttut. Eigentlich habe ich nur das fortgesetzt, was wir beide gerne gemeinsam gemacht haben. Ich bin viele Kilometer gelaufen, aber eben ohne Gerhard. Im nächsten Schritt habe ich aktiv mein soziales Umfeld wieder in mein Leben gelassen. Ich habe aufgemacht und Menschen um mich herum zugelassen. Ich habe neue Interessen entdeckt, die Genussfähigkeit wiedergefunden, ohne dabei schlechtes Gewissen zu haben. Denn die Seele muss wieder berührt werden!

So, wie du das erzählst, klingt es unheimlich tröstlich und motivierend. Kann man gleichzeitig trauern und Glück empfinden?

Es ist ein großer Zwiespalt, wenn die Trauer um den Partner noch so präsent ist. Ich stellte mir die Frage: „Darf ich wieder glücklich sein?“ Ich glaube, es gibt kein entweder oder. Es muss beides gleichzeitig möglich sein. Und die Erlaubnis dazu kann man sich nur selbst geben. Auch die Offenheit, einen neuen Menschen, einen neuen Partner zuzulassen. Gerhard bleibt immer bei mir, begleitet mich durchs Leben. Er gibt mir Stärke, hat seinen festen Platz in meinem Herzen. Egal, wer dazu kommt. Manchmal habe ich Angst, dass die Erinnerungen verblassen. Ich möchte das nicht zulassen. Aber diese Angst darf einen nicht runterziehen. Wir brauchen Mut und wir brauchen Arbeitsaufgaben. Wir müssen dort hinschauen, wo es wehtut. Uns dann wieder aufrichten und Glück zulassen.

Vielen Dank Marianne für deine Offenheit und deine Gedanken. Ich bin mir sicher, du gibst damit vielen Betroffenen Zuversicht!

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