
Es ist Ostermontag. Ein Tag zum Durchatmen, zum Innehalten – so zumindest der Plan. Nach fünf vollgepackten Arbeitstagen, einem Wochenende voller Erledigungen und dem obligatorischen Familienbrunch am Ostersonntag, sollte dieser Tag mir gehören. Ruhe. Pause. Stille.
Doch genau diese Stille ist es, die mich herausfordert. Ich bin so sehr im „Funktionieren“, dass ich gar nicht mehr weiß, wie man loslässt. Das Alleinsein fühlt sich nicht wie Erholung an, sondern wie eine Prüfung. Und dann ist da Jakob. Mein Hund. Mein Fels. Mein bester Freund. Und ja – dieser Beitrag gehört nur ihm.
Dabei hätte ich nie gedacht, dass ich mal ein Hundemensch werde. Ich war überzeugt, dass Katzen besser zu mir passen. Still, unabhängig, ein bisschen eigen – wie ich. Aber dann kam der Januar 2014. Kathi wurde krank. Krebs. Von einem Tag auf den anderen war nichts mehr, wie es war. Die Diagnose riss sie aus ihrem Leben, aus der Arbeit, aus der Leichtigkeit. Zuhause wurde es stiller. Und schwerer. Ihr Lachen, früher laut und ansteckend, war plötzlich kaum noch zu hören.
Ich spürte: Wir brauchen jemanden. Einen, der keine Fragen stellt. Der einfach da ist. Der Wärme schenkt, ohne Worte. Einen Hund.
Es war ein kurzer Moment der Recherche, ein einziger Blick auf eine Züchterseite – und da war er: ein kleiner, rundlicher Tibet-Terrier, schneeweiß, mit einem einzigen braunen Fleck auf der Seite. Als hätte jemand eine Tasse Cappuccino über ihn gekippt. Jakob.
Im Oktober 2014 zog er bei Kathi ein – und mit ihm zog neues Leben ein. Plötzlich war da wieder Lachen im Haus. Er war quirlig, neugierig, manchmal auch nervig – aber immer voller Liebe. Natürlich war es nicht einfach. Welpen bringen Chaos, Verantwortung und einen neuen Alltag. Doch inmitten von Krankenhausbesuchen, Therapien und Ängsten war Jakob der Lichtblick. Er verstand, ohne zu verstehen. Spürte, was sie brauchte – und war einfach da.
Als Kathi zu schwach wurde, übernahm ich. Jakob zog zu mir. Ich organisierte einen Hundesitter, strukturierte meinen Tag neu – alles, um diesen kleinen Vierbeiner in unserem Leben zu behalten. Rückblickend war es vielleicht nicht der beste Zeitpunkt für einen Welpen. Aber ganz ehrlich? Ich glaube, er war genau zur richtigen Zeit am richtigen Ort.
Und dann kam der schlimmste Tag. Kathi war nicht mehr da. Und ich… ich fiel. Tief. Doch ich fiel nicht allein. Jakob war da. Leise. Behutsam. Mit seiner Schnauze auf meinem Bein, seinen Augen auf mir. Er trug meinen Schmerz mit, wie ein stiller Held. Zog mich zurück ins Leben. Schritt für Schritt.
Wegen ihm musste ich raus. Raus in die Natur. Raus aus meiner Trauerblase. Spaziergänge wurden zu Therapie, sein Blick zum Halt. Wenn ich weinte, blieb er. Immer. Und irgendwann wurde es ein kleines bisschen heller.
Später nahm ich mir vor, mit ihm zur Hundeschule zu gehen – aus Vernunft, aus Pflichtgefühl. Einzeltraining, weil ich für Gruppen noch nicht bereit war. Doch schon nach der ersten Stunde wurde klar: Wir brauchten das nicht. Wir waren längst ein eingespieltes Team. Jakob wich nie von meiner Seite. Die Trainerin sagte, er fühle sich verantwortlich für mich. Und das stimmte.
Er begleitete mich überall hin – auch nach Deutschland, als ich für zweieinhalb Jahre dort lebte. Ein geduldiger Beifahrer auf der Strecke zwischen Stuttgart und Teesdorf. Später, zurück in Wien, wurde er sogar Teil meines Arbeitsalltags. Zwei-, dreimal pro Woche kommt er mit ins Büro. Die erste Frage die ich morgens höre: „Ist der Jakob heute mit?“ Er ist unser „Delphinschwimmen“, unsere Therapie. Ein bisschen Frieden auf vier Pfoten.
Heute ist Jakob fast elf. Wir sind nun beide ein bisschen ruhiger geworden. Gehen langsamer, schlafen früher, meiden Trubel, wenn’s geht. Und manchmal, wenn ich so in sein Gesicht blicke, denke ich, er sieht mir sogar ähnlich. Oder zumindest sagen das viele. Vielleicht, weil wir uns über die Jahre gegenseitig geformt haben. Wie ein altes Ehepaar, das immer zusammengehalten hat.
Ich weiß nicht, ob ich je wieder einen Hund haben werde. Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Denn Jakob ist besonders. Er ist nicht „ein Hund“. Er ist mein Hund. Mein Gefährte durch die dunkelste Zeit. Mein Lehrer in Sachen Geduld, Nähe und Liebe. Mein stiller Retter.
Und solange er bei mir ist, werde ich alles tun, damit seine letzten Jahre genauso voller Liebe sind, wie er meine mit seiner erfüllt hat.