×

„Es ist kaum zu glauben – Instagram kennt mich offenbar besser als ich mich selbst!“ Seit ich meine Blogbeiträge auf Instagram und Facebook veröffentliche, überschüttet mich die App mit Stories und Reels, die das Thema Tod und Trauer aufgreifen. Ein Meer aus düsteren Landschaften und weinenden Emojis, herzzerreißende Geschichten von Menschen, die mit ihrem Tod konfrontiert sind. Beiträge eines jungen coolen Bestatters, der auf dem Weg zur nächsten Party noch schnell einen Verstorbenen aus dem Pflegeheim abholt. Videos, wie man einen Sarg mit Seide ausschlägt und welche Grabblumen sich besonders gut eigenen. Seiten, die mir versprechen, wie ich erfolgreich mit meiner Trauer umgehen kann. Jede Menge aufmunternde Sprüche und Lebensweisheiten, dass das Leben eben nur zu vergänglich ist? Aber brauche ich all das?

Instagram hat ein ausgeklügeltes Algorithmus-System, das auf das Verhalten seiner Nutzer reagiert, um personalisierte Inhalte anzuzeigen. Poste ich also auf Kirschhäubchen eine Erinnerung an meine verstorbene Tochter, erkennt der Algorithmus das und passt meine Suchergebnisse sowie die angezeigten Beiträge entsprechend an. Das hat zur Folge, dass ich mehr Inhalte sehe, die mit Trauer, Verlust oder ähnlichen Themen in Verbindung stehen. Dies können sowohl unterstützende Beiträge als auch Werbung für Trauerbewältigungsressourcen umfassen. Instagram versucht mir Inhalte zu zeigen, die offensichtlich meinem emotionalen Zustand entsprechen. Das kann sowohl hilfreich als auch herausfordernd sein. Es gibt mir vielleicht die Chance, mich mit Gleichgesinnten zu verbinden oder Unterstützung zu finden. Aber auf der anderen Seite ist es oft zu viel des Guten. Es ist deshalb immens wichtig, auf sein eigenes Wohlbefinden zu achten und gegebenenfalls Pausen von solchen Inhalten einzulegen und einfach weiter zu scrollen. Manches finde ich schlichtweg geschmacklos und ich verstehe nicht, wie man solche Postings verfassen kann. Manche Videos sind sogar verstörend und gehen derartig an die Schmerzgrenze, dass ich mich frage, wer hier den Nerv hat, das überhaupt zu filmen? Es scheinen nur die Klicks zu zählen.

Aber manches Mal findet man kleine Schätze, die ich wunderschön finde und ich freue mich, darauf gestoßen zu sein. Ich habe eine junge Frau entdeckt, Clara Lösel, 24 Jahre alt. Sie ist Autorin und Poetryslamerin und hat auf Instagram eine Trauerrede vorgetragen, die ich unbedingt teilen möchte. Clara gibt dazu die Erlaubnis und bittet nur darum, dass man ihren Namen als Verfasserin nennt. Das tue ich hiermit und bedanke mich für diesen berührenden Text.

Wie ein ganz normaler Tag

Es ist schwer für mich zu begreifen, dass die Erde sich noch dreht.

So wie gestern, so wie morgen, dass alles einfach weitergeht.

Es ist schwer für mich zu begreifen, dass die Welt noch funktioniert.

Man denkt, es müsste anders sein, wenn man jemanden verliert.

Es ist schwer für mich zu begreifen, dass heute für die meisten Menschen nur ein ganz normaler Tag ist.

Wie können sie das denken?

Wie kann es sein, dass Menschen ganz normal zur Arbeit gehen? Dass sie Freunde treffen und in Einkaufsschlangen stehen?

Jemand sagt „Ich liebe Dich“, eine Reisegruppe läuft durch Prag, alles so, als wäre heute nur ein ganz normaler Tag.

Jemand nimmt den letzten Bus, jemand bringt ein Kind zur Welt, jemand wählt zum ersten Mal, jemand bekommt Wechselgeld.

Jemand streicht ein Haus, jemand errechnet den Ertrag, alles so als wäre heute nur ein ganz normaler Tag.

Und ich, ich steh daneben mit Tränen in den Augen und frag mich, wie das geht?

Und was die Menschen sich erlauben, dass sie so tun, als wäre heute alles doch so ganz normal.

Du bist nicht mehr hier und es scheint ihnen egal.

Und ich muss mich erinnern – sie wissen es nicht!

Die Menschen können es nicht verstehen.

Denn weil sie dich nicht kannten, wissen sie auch nicht was fehlt.

Weil man kann ja nur verlieren, was man einmal hatte.

Und ganz egal wie sehr ich diesen Tag auch hasse, wenn das der Preis ist, den ich zahle, für die wunderschöne Zeit mit dir, dann würde ich dich jederzeit immer wieder gerne verlieren.

Ähnliche Beiträge

Wenn ich nicht mehr entscheiden kann

Im Rahmen der Ausbildung zum Lebens-, Sterbe- und Trauerbegleiter wurde viel über die Vergänglichkeit des Lebens, das Sterben und den Tod aufgegriffen....

Weiterlesen >>

Kann ich etwas für dich tun?

Wenn wir in unserem engeren Umfeld, in der Familie oder im Freundeskreis mit einem Trauerfall konfrontiert werden, spüren wir das natürliche Verlangen...

Weiterlesen >>