
Heute, es ist der 1. Jänner 2025, überkommt mich schon am Morgen die große Wehmut. Wieder ist ein Jahr um. Die ausgelassene Silvesterfeier hat, wie auch schon an den letzten mehr als zehn Jahreswechseln nicht stattgefunden. Stattdessen habe ich ab 23:30 Uhr eine Stunde lang auf dem Fußboden meines Badezimmers gelegen und versucht, meinen Hund Jakob zu beruhigen.
Ich habe schlecht geschlafen, wache schon mit Unruhe auf. Ich hasse dieses Gefühl am Morgen, da komme ich einfach nicht in die Gänge. Irgendwie ist mir 2024 wieder nicht der große Durchbruch gelungen und die große Leichtigkeit hat sich nicht eingestellt. Irgendwie fehlt mir für 2025 die große Zuversicht. Und da fällt mein Blick auf das Bücherregal, auf dein Buch „Kirschhäubchen“. Und ich schlage nach, wie du dein letztes Silvester 2014 verbracht hast. Ich finde einen Eintrag am 31. Dezember 2014. Du ziehst Bilanz über ein Jahr mit der Diagnose Krebs.
Du startest mit einer Tabelle, du warst so ein strukturiertes Mädchen. Auflistungen über deine Metastasen, Krankenhausaufenthalte, Operationen, MRTs, CTs, Schreckensmomente, Arztbesuche, Blutabnahmen. Das volle Programm. Es ist nicht leicht, das zu lesen. Doch dann ändert sich dein Schreibstil. Keine Tabelle mehr, sondern einfach nur berührende Worte.
Es gab in diesem Jahr fürchterliche Tiefen für mich, meine Familie und meine Freunde. Ich traue mich aber zu behaupten, dass es mindestens genauso viele Höhepunkte auf der Sonnenseite von 2014 gab. Ich war in Amsterdam, Belgrad, Bodrum, Hamburg und auf Sylt. Ich habe mit Chrisi ein Yoga-Retreat am Pöllauberg besucht. Ich habe viele Stunden wertvolle Zeit mit meiner Familie und meinen Freunden verbracht. Momente, die ich seit meiner Diagnose genieße, wie sonst nichts anderes. Ich habe Weihnachtskekse gebacken und Mama meint, ich bin ein wahrer Senkrechtstarter darin. Ich habe so viel gelacht mit euch und auch mindestens eine Badewanne voller Tränen geweint. Dazwischen habe ich meinen Wohnsitz gewechselt und Oliver und ich haben uns schlussendlich getrennt. Viele Freundschaften haben sich intensiviert, verändert, neugestaltet und einige habe ich auch abgelegt. Ich bin 30 Jahre alt geworden und mache mir Gedanken über die Art und Weise, wie ich bestattet werden möchte und wem ich was hinterlasse. Seit einem Jahr fahre ich Achterbahn und kein Ende ist in Sicht. Ich bin stärker denn je und du Krebs – du wirst nicht die Oberhand gewinnen! Ich werde die neue Therapie bekommen und ich werde weiter alles daransetzen, dass ich noch viele Jahresrückblicke schreiben kann, in denen ich mich vor allem bei Euch bedanken werde.
Ich klappe das Buch zu und stelle es wieder zurück ins Bücherregal. Ich hole mir aus der Küche eine Tasse Kaffee, lasse deine Gedanken noch nachwirken. Mir fällt ein, dass ich vor etwa zwei Wochen mit Emilia und Elisa in deinen Sachen gestöbert habe. Du hast ein Reisetagebuch geführt, deine Reisen von 2014 sind darin auch zu finden. Ansichtskarten, Schnappschüsse, Eintrittskarten, Bierdeckel, Flugtickets. Das Buch ist nicht voll geworden, es hört nach deiner Amsterdam-Reise auf. Viele Seiten sind noch frei und die Mädchen fragen mich, warum es nicht weiter geht. Ich erkläre ihnen warum, weil du eben gestorben bist, bevor du noch mehr Reisen unternehmen konntest. „Aber wir könnten doch weitermachen und Dinge reinkleben.“, meint Elisa. „Und wenn du dann gestorben bist, Gitti-Oma, dann können wir uns an dich erinnern.“ Das ist eine schöne Idee und nehme mir vor, gleich damit zu beginnen.
Auf ein gutes neues Jahr 2025! Denn Aufgeben ist keine Option.