
Die Vorstellung, dass nach dem Tod eines geliebten Menschen wirklich alles vorbei ist und da nichts mehr ist, dieser Gedanke ist für viele Hinterbliebene schwer auszuhalten. Nicht selten klammern wir uns an die Vorstellung, dass die, die gegangen sind, immer noch um uns herum sind. Wir suchen nach Zeichen, die sie uns schicken. Wir träumen von ihnen, wir spüren manchmal sogar ihre Anwesenheit. Ob das nun Humbug ist oder nicht, es ist einfach eine sehr persönliche Art, mit dem Verlust umzugehen.
Ich besuche mit meiner Schwester und einer lieben Freundin einen Vortrag über Jenseitskontakte. Meine Schwester kämpft mit dem Tod ihres Sohnes, mit Dingen, die sie ihm nicht mehr sagen konnte. Meine Freundin würde noch gerne mit ihrer Schwester in Kontakt treten. Beide sind sehr neugierig, zumal ich ihnen dazu viel Positives erzählt habe. Ich kenne die Dame, die vorträgt, ich war vor über acht Jahren schon einmal als Zuhörerin im Saal. Ich hatte damals verzweifelt nach einer Botschaft von Kathi gesucht, aber stattdessen Nachrichten von meinem verstorbenen Bruder erhalten. Nach dieser ersten Erfahrung habe ich sogar eine Einzelsitzung gebucht und dabei Botschaften nicht nur von Kathi, sondern auch von meinen verstorbenen Eltern und von Freunden erhalten. Ich kann mich gut daran erinnern, dass es mich zu diesem Zeitpunkt sehr getröstet hat und ich froh war, es getan zu haben. Das gesamte Gespräch wurde sogar auf einer CD aufgenommen, die ich nach Hause mitbekommen habe. Aus diesem Grund habe ich die Veranstaltung auch meinen beiden Begleiterinnen empfohlen.
Der erste Teil des Vortrags ist sehr allgemein gehalten. Der Saal ist gut gefüllt, rund 95 Prozent der Anwesenden sind Frauen aller Altersstufen. Nichts am Setting ist düster oder gar mystisch, es könnte jeder Vortrag hier stattfinden. Die Vortragende beschreibt unsere Verstorbenen als Energie, die immer um uns herum ist, und zeichnet ein Bild, das insgesamt tröstlich ist. Sie sind da, es geht ihnen gut, und wir müssen uns keine Sorgen um sie machen. Nach einer einstündigen Pause versammeln wir uns wieder im Saal. In dieser Pause versucht die Vortragende, Kontakt mit Verstorbenen aufzunehmen, um dann für einige aus dem Publikum Botschaften zu übermitteln.
Die ersten Zuschauer kommen dran, es entsteht ein Dialog aus Botschaften, die vom Empfänger nur mit Ja oder Nein beantwortet werden sollen. Man darf aber auch ablehnen, wenn man die Botschaft nicht annehmen möchte. Die Stimmung verändert sich im Saal, alle hören gespannt zu, es knistert förmlich. Die meisten antworten aber viel mehr als nur „ja“ und „nein“, zu überwältigt sprudelt es aus manchen heraus. Auf die Botschaft „Ich sehe, ihr Mann war sehr krank, ist das richtig?“, kommt die Antwort: „Ja, das stimmt. Er hatte Krebs“.
Wir drei kommen auch dran, ich wusste, dass ich ausgewählt werde, ich hatte das schon im Gefühl. Kathi hat Tröstliches für mich, letztendlich Botschaften, die ich bereits in der Einzelsitzung erhalten habe. Meine Schwester wird im Zusammenhang mit Kathi erwähnt, das Medium erzählt von der engen Beziehung, die die beiden während Kathis Schulzeit hatten. Meine Freundin erhält ausführlich Nachrichten von ihrer Schwester, die sie einerseits fesseln und andererseits sehr, sehr trösten.
Wir verlassen die Vorstellung und machen uns auf den Heimweg. Meine Schwester und meine Freundin sind sehr zufrieden mit dem Erlebten. Nur für mich passt diesmal irgendetwas nicht und ich komme nicht gleich darauf, was es sein könnte. Ich denke lange darüber nach.
Ein paar Tage später lautet mein Fazit: Wenn man sich so sehr wünscht, mit seinen Lieben in Kontakt zu treten, dann ist man nur allzu bereit, Gesagtes so auszulegen, wie man es eben gerne hören oder verstehen möchte.
Ich möchte nichts schlechtreden oder gänzlich in Frage stellen, aber für mich hat es nicht mehr gewirkt. Ich habe Kathis Tod schon viele Jahre akzeptiert und brauche diese Botschaften nicht mehr. Ich fühle mich immer mit ihr verbunden.
Für die Zuhörer, die an diesem Abend Nachrichten erhalten haben, hat es wahrscheinlich seinen Zweck erfüllt. Vielen hat das Gesagte gutgetan, sie sind glücklicher als davor, und somit hat letztendlich alles auch seine Richtigkeit.
Eine Begegnung hat mich aber ungemein berührt. Eine Reihe vor mir saß eine junge Frau, die ihren Bruder durch einen Motorradunfall verloren hatte. Ihre Geschichte hat mich zu Tränen gerührt, ich fand sie so tapfer. Wie sie damit gekämpft hat, das überlebende Kind ihrer Eltern zu sein. Nach dem Vortrag, als alle, die eine Botschaft erhalten haben, sich eine rote Rose abholen durften, sind wir aufeinander zugegangen und haben uns umarmt und ein bisschen gemeinsam geweint. Für mich war diese Geste das Tröstlichste an diesem Abend.