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Der frühe Tod meiner Tochter und die damit verbundenen tiefen Einschnitte in meinem Leben haben mich dazu gebracht, mich intensiver mit dem Thema Sterben auseinanderzusetzen. Wir haben während Kathis Krankheit so viel Unterstützung erfahren, nicht nur von Ärzten und Pflegefachkräften. Kathis Freundeskreis, eigentlich ihr gesamtes Umfeld, ist beherzt eingesprungen und hat bedingungslos die so wichtige mentale Betreuung übernommen. Dafür werde ich immer dankbar sein. Um von diesen Hilfestellungen etwas zurückzugeben, etwas gutzumachen, habe ich mich entschieden, den Einführungskurs für Lebens-, Sterbe- und Trauerbegleitung in einer karitativen Einrichtung zu besuchen. Ich möchte für mich abstecken, inwieweit ich in der Lage bin, mir fremden Menschen Unterstützung, in welcher Form auch immer anzubieten. Denn Sterben und Abschiednehmen ist Schwerstarbeit für denjenigen, der geht. Für die Familienangehörigen und Freunde gilt es dann, mit dem Verlust zurechtzukommen. Da braucht es viele mitfühlende Begleiter. Begleiter, die zuhören können, die gemeinsam schweigen können, gemeinsam lachen können, die zur Seite stehen und das Loslassen aushalten, wenn es so weit ist. Es ist offensichtlich, dass dieser Bedarf nicht alleine durch Pflegefachkräfte gedeckt werden kann. Der Einsatz und die Hilfe von Ehrenamtlichen, die sich in den Dienst der Gemeinschaft stellen, sind hier unbedingt notwendig. Ohne sie würde die Idee der Hospizbewegung nicht funktionieren.

Das Wort „Hospiz“ leitet sich vom lateinischen Wort „hospes“ab, das sowohl „Gast“ als auch „Gastgeber“ bedeutet. Der Begriff Hospiz stammt aus dem 11. Jahrhundert und bezeichnet einen Ort der Gastfreundschaft nicht nur für Reisende und Pilger, sondern auch für Kranke und Sterbende. Es mag zwar schockieren, aber das Hospiz ist ein Ort, an dem Menschen sterben. Seinen Ausgang nahm die Hospizbewegung in England. Cicely Saunders eröffnete in den 1960er-Jahren das erste Haus für Sterbende und deren Angehörige. Sie gilt somit als Gründerin der Hospizbewegung. Cicely Saunders ging es darum, Menschen bis zum letzten Atemzug ein würdevolles Leben zu ermöglichen. Ihre Idee verbreitete sich weltweit und hat dazu beigetragen, dass sich der Umgang mit dem Tod und dem Sterben in unserer heutigen Welt radikal verändert hat.

Nach reiflicher Überlegung habe ich mich also angemeldet, meine Kursgebühr von 830 Euro einbezahlt und die Einladung zur Kennenlernrunde wahrgenommen. Wir treffen in einem großen Vortragssaal im Kardinal König Haus aufeinander. Ungefähr 60 potenzielle Ehrenamtliche, der Großteil davon sind Frauen im Best-Ager-Alter. Wir bilden einen Sesselkreis, vier weibliche Vortragende sitzen uns gegenüber. Die Stimmung empfinde ich als etwas verhalten. So als wäre Heiterkeit oder selbst ein Lächeln nicht angebracht. Ich bin angespannt und dennoch neugierig, was auf mich zukommt. Zum Wohlfühlen reicht es allerdings nicht aus. Unsere Kursleiterinnen stellen sich der Reihe nach vor und wir erfahren einiges über ihren Hintergrund, ihren Werdegang und ihre Motivation, diese Ausbildung zu leiten.

Zur Einführung erklärt uns eine der Vortragenden, welche Bedeutung die Teilnahme an diesem Einführungskurs für uns hat und was dabei vermittelt werden soll. Es ist ein Kennenlernen der Hospizbewegung und ihrer Grundelemente und gibt uns eine Einführung in die Begleitung schwer kranker Menschen und deren Angehörigen. Es soll eine Entscheidungshilfe für weitere Schulungen sein und sich für jeden von uns persönlich klären, ob wir letztendlich ehrenamtlich in der Hospizarbeit oder Palliativ Care tätig sein möchten. Der Kurs erstreckt sich über einen Zeitraum von ungefähr drei Monaten und endet mit einem Einführungspraktikum unserer Wahl. Danach erhalten wir auch entsprechendes Zertifikat, das bestätigen soll, dass wir künftig in der Lage sind, Menschen mit ihren Bedürfnissen in der letzten Lebensphase wahrzunehmen und liebevoll zu begleiten.

Ebenso werden wir darauf hingewiesen, was wir uns nicht erwarten dürfen. Dieser Kurs ersetzt keine Berufsausbildung. Ehrenamtliche sind keine ausgebildeten Pflegefachkräfte. Wir befinden uns auch nicht in einer Therapiegruppe oder in einem Selbsterfahrungsseminar. Obwohl ich mir sicher bin, dass wir viele Erkenntnisse für uns gewinnen werden und uns selbst in ungewohnten Situationen neu „erfahren“ werden. Es handelt sich auch um keine Trauergruppe, um eigene Verluste aufzuarbeiten, obwohl wir das tun werden. Niemand ist zufällig hier gelandet. Von uns Teilnehmern wird aktives Einbringen erwartet, um zu einem nachhaltigen Gelingen beizutragen. Der Kurs lebt vom Einlassen auf ein schwieriges Thema, das in unserer schnelllebigen Welt noch viel zu oft tabuisiert wird.

Mit all dem Gehörten werden wir nun nochmals aufgefordert, darüber nachzudenken, ob man sich tatsächlich auf eine weitere Teilnahme einlassen möchte. Wir dürfen eine Nacht darüber schlafen. Denn noch haben wir die Gelegenheit, den Kursbesuch auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben. Es ist auch völlig akzeptabel festzustellen, dass wir hier nicht richtig sind.

Im zweiten Teil des Abends geht es um ein langsames Kennenlernen innerhalb der großen Gruppe. Wir bekommen Fragen gestellt, dürfen uns endlich von den Sesseln erheben und uns im Raum verteilen. Wir finden uns nach Wohnorten zusammen. Wer lebt in Wien, in welchem Bezirk? Wer ist aus Niederösterreich, wer aus dem Burgenland? Schnell entsteht eine gewisse Dynamik, die ersten Anknüpfungspunkte werden gesucht. Die Atmosphäre entspannt sich merklich. Die Fragen werden intensiver, nähern sich mehr dem Thema des Kurses an. Wer hatte schon Berührung mit dem Tod? Wer hat selbst einen geliebten Menschen verloren? Wer hatte bisher keine Berührungspunkte?

Die letzte Frage überrascht mich persönlich am meisten. Wir werden gefragt, wie wir gerne sterben möchten. Ob es plötzlich und unerwartet geschehen soll, etwa bei einem Unfall. Ob wir uns wünschen, uns durch eine längere Krankheit darauf vorbereiten zu können. Ob wir nach einem erfüllten Leben durch einen natürlichen Tod gehen möchten. Oder ob wir gar nicht darüber nachdenken wollen, nach dem Motto „Sterben ist nichts für mich!“ Ganz spontan, ohne auch nur eine Sekunde zu überlegen, entscheide ich mich für die letzte der vier Wahlmöglichkeiten. Das hätte ich nicht gedacht! Scheint doch noch ein Selbsterfahrungsseminar zu werden.

Ich habe eine Nacht darüber geschlafen. Der erste Abend hat mich gefordert, viele meiner Gedanken in Bewegung gesetzt. Aber auf keine unangenehme Weise. Am nächsten Morgen habe ich meine Teilnahme bestätigt, ich bleibe bei meinem Entschluss. Ich habe nur darum gebeten, die Gruppe wechseln zu dürfen. Nach unserem ersten Kennenlernen weiß ich bereits, mit welchen Teilnehmern ich gerne weiter machen möchte. Und ich freue mich darauf!

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