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Am 27. Jänner 2025 habe ich mein Zertifikat erhalten, das meine Eignung für die angestrebte Tätigkeit als ehrenamtliche Lebens-, Sterbe- und Trauerbegleiterin bestätigt. So weit die Theorie. Um jedoch tatsächlich in einem Hospiz arbeiten zu können, ist ein 40-stündiges Praktikum erforderlich.

Ich habe intensiv darüber nachgedacht, ob ich dieses Praktikum auf später verschieben sollte. Auf einen Zeitpunkt, an dem ich nicht mehr 50 bis 60 Stunden pro Woche im Büro arbeite und weiter 10 Stunden für die Anfahrt aufwende. Mein Büroalltag ist mittlerweile so stressig und aufreibend geworden, dass ich es kaum noch bemerke. Mein Umfeld hingegen sieht das deutlich und fragt sich wahrscheinlich, ob ich wirklich glaube, jeden Tag aufs Neue die Welt retten zu müssen. Für einen Job, der letztendlich darauf abzielt, Geldwerte zu vermehren und verwalten.

Ich entscheide mich also bewusst dafür, sofort mit dem Praktikum zu beginnen. Gerade weil es einen wertvollen Kontrast zu meinem Beruf bietet. Ich möchte mich mehr auf die wahren Werte des Lebens konzentrieren, Sinn und Erfüllung finden, indem ich anderen Menschen in schwierigen Zeiten zur Seite stehe und echte zwischenmenschliche Verbindungen aufbaue.

Und dann ist er da, mein erster Tag im stationären Hospiz. Ich bin aufgeregt, unsicher, sehr still und empfinde große Ehrfurcht. Ich weiß noch nicht genau, wie ich mit dieser Situation umgehen soll. Ich betrete Neuland. Die Stationsleiterin nimmt mich in Empfang und begrüßt mich herzlich. Wir stehen in einem hellen, freundlichen Aufenthaltsraum, der mich gleichzeitig an Frühstückspension und Krankenhaus erinnert. Als erstes sticht mir eine Anrichte ins Auge. Darauf stehen eine große Kerze, ein aufgeschlagenes Fotoalbum und eine Vase mit Blumen. Im Album finde ich Nachrufe und Bilder der Verstorbenen. Die Station wurde erst im Herbst 2024 eröffnet worden und dennoch sind viele Bewohner bereits wieder verstorben. Es berührt mich sehr. Ich muss schlucken und weiß nicht, was ich sagen soll. Also nicke ich nur, bin betreten und sprachlos.

Wir setzen unseren Rundgang fort. Die Krankenschwestern, Ärztinnen und Pflegerinnen, denen wir begegnen, begrüßen mich herzlich. Ich bin willkommen, das fühlt sich gut an. Ich darf auch ein unbewohntes Zimmer besichtigen. Es ist geräumig und ansprechend, der Raum riecht noch ganz neu. Insgesamt gibt es 16 Betten auf der Station, aktuell sind acht belegt. Bald sollen es mehr werden. Einige Türen der aktuell belegten Zimmer sind geschlossen. Aber auch bei geöffneter Tür treten wir nicht ein, um die Privatsphäre der Bewohner zu respektieren.

Ich bemerke, dass meine Begleitung eigentlich Wichtigeres zu tun hätte. Sie übergibt mich an Maria, eine ehrenamtliche Mitarbeiterin mit zehn Jahren Erfahrung. Sie kennt die Station seit der Eröffnung, kennt auch die Bewohner. Mit ihr betrete ich das erste Zimmer, um „Hallo“ zu sagen. Die Bewohnerin schaut kurz auf und gibt uns zu verstehen, dass sie keine Gesellschaft möchte. „Wissen sie, ich habe schon so viel mitgemacht. Ich will einfach meine Ruhe“. Maria nimmt das gelassen hin, ich fühle mich unwohl. So, als hätte ich eine sehr persönliche Grenze überschritten

Auch im nächsten Zimmer werden wir abgewiesen, die Dame wirkt sogar etwas erschrocken. Ich drehe mich schnell um. Eigentlich möchte ich am liebsten wieder nach Hause gehen. Aber Maria beruhigt mich: „Das ist ganz normal. Jeder Einsatz ist anders. Mal gibt es Bedarf an Gesellschaft, mal eben nicht.“ Wir setzen uns dann zu Frau B, um ihr beim Essen Gesellschaft zu leisten. Sie freut sich sehr darüber und beginnt sofort zu erzählen. Sie spricht lebhaft über ihr Leben und wie wohl sie sich hier fühlt. Sie dachte immer, sie sei ein Einzelgänger, doch hier genießt sie die Gesellschaft und die Aufmerksamkeit.

„Ich habe ein schlechtes Gewissen, weil ich noch lebe und andere schon gestorben sind“, sagt sie nachdenklich. Sie erzählt auch, dass sie noch ein paar kurzärmelige T-Shirts braucht, da es jetzt so warm geworden ist und dass sie im Winter direkt vom Krankenhaus hierher kam – völlig unerwartet. In ein paar Tagen will sie sich für den Frühling einkleiden, sobald der kleine Modeladen im Erdgeschoss öffnet. „Und dann würde ich gerne Rummikub spielen. Zu dritt ist es viel lustiger als nur zu zweit“, sagt sie mit einem Lächeln.

Ich erfahre, dass Rummikub zur Grundausbildung von Ehrenamtlichen gehört und steige sofort ein. Natürlich gewinnt Frau B alle drei Spiele und ist zufrieden und vergnügt. Jetzt möchte sie sich im Zimmer ausruhen. Sie steht auf, reckt sich ein wenig und ihr Blick sucht nach ihrem Rollator. „Wissen Sie, ich habe zwei künstliche Hüften. Hoffentlich halten die noch!“, meint sie verschmitzt und verabschiedet sich herzlich. Ich bin nun wieder sprachlos, aber im positiven Sinne.

So viel Lebensfreude, so viel Energie. Ich habe viel gelernt heute. Mein Einsatz hier hat Sinn gemacht, hat Freude bereitet. Für diesen Nachmittag war das Hospiz kein Ort zum Sterben. Für diesen Nachmittag war es Frau Bs Zuhause, ihr Wohnzimmer, in dem ich Gast sein durfte.

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