
Meine Tochter Kathi ist am 05.05.2015 mit nur 30 Jahren an Krebs gestorben, sechszehn Monate nachdem sie die Diagnose Hautkrebs bekommen hatte. Sie hat ihr Umfeld teilhaben lassen an ihrer Geschichte und einen Blog geschrieben. Weil der Blog so eine gute Resonanz erzielt hatte, wollte sie daraus unbedingt ein Buch machen. Leider blieb ihr nicht genug Zeit, ihr Projekt zu Ende zu bringen. Also habe ich als ihre Mutter die Aufgabe übernommen und 2016 das Buch „Kirschhäubchen“ ganz nach Kathis Wunsch herausgebracht.
Nach der großen Buchpräsentation und dem Verteilen im Freundes- und Bekanntenkreis wollte ich mich um die Vermarktung kümmern. Das habe ich nicht geschafft. Irgendwie hat es sich nicht richtig angefühlt, mit dem Schicksal meiner Tochter die Werbetrommel für erfolgreiche Buchverkäufe zu rühren. Mit dem Buchverkauf kam auch mein Blog ins Stocken, den ich damals eingerichtet hatte, um das Entstehen des Buches zu dokumentieren.
Und ganz viele Jahre geriet der Blog auch völlig in Vergessenheit. Darauf aufmerksam gemacht wurde ich nur einmal im Jahr, als die Rechnung für den Internetauftritt zu bezahlen war. Jedes Mal die Überlegung, aufhören, weitermachen, was tun?
Und langsam wuchs der Gedanke, den Blog wieder aufleben zu lassen. Aber anders. Unsere oder meine Geschichte aufleben zu lassen, zu zeigen, wie es nach Kathis Tod weitergegangen ist.
Ich habe mich ausgetauscht mit Freundinnen und Freunden, mit anderen Betroffenen, mit Leserinnen und Lesern von Kathis Buch, dann war der Entschluss gefasst.
Und hier bin ich nun wieder am Schreiben, worüber eigentlich?
Ich möchte eine Plattform bieten für Menschen, die unglaubliches Leid durch den Tod eines geliebten Menschen erfahren haben. Für die, deren Welt plötzlich aus den Angeln gehoben wurde. Für die, die ihr Leben in ein Davor und ein Danach einteilen müssen.
Deren Geschichte ihr Innerstes zum Bersten bringt. Die aber nicht mehr darüber sprechen dürfen. Weil das Leben ja weitergeht, weil man ja nach vorne schauen muss, weil der Tod eben zum Leben gehört und weil es manche auch nervt, sich diese Geschichte wieder und wieder anhören zu müssen. Der Tod ist in unserer westlichen Welt zum Tabu geworden. In unserer perfekten Welt gibt es kein Altern und schon gar kein Sterben. Wir sind unverwüstlich. Und wenn es doch einmal passiert, lass uns besser darüber schweigen.
Aber diese Menschen müssen sprechen dürfen, weil nur dann können sie das Unfassbare begreifen. Und erzählen kann man es am besten jemandem, den dasselbe oder ein ähnliches Schicksal ereilt hat.
Ich möchte gerne zuhören, weil ich es aushalten kann. Weil mich die Geschichten nicht in eine tiefe Depression stürzen. Ich werde dadurch auch nicht schmerzlich an den Tod meiner Tochter erinnert. Ich fühle mich durch diese Menschen und ihre Geschichten mit ihnen verbunden, dadurch kann ich begreifen, dass der Tod tatsächlich zum Leben gehört. Dass mein Schicksal nur eines von vielen ist. Dass unendlich viele Menschen mit Verlust umgehen müssen. Ich habe mich eigentlich nie gefragt, warum gerade mir das passiert ist. Es gibt so viele Betroffene. Ich trauere mehr um das, was meine Tochter nicht mehr erleben durfte. Die Geschichten anderer trösten mich und geben mir das Gefühl, nicht alleine zu sein. Und sie machen mich auch dankbar. Dankbar dafür, dass wir noch Zeit hatten, um uns voneinander zu verabschieden. Dass wir aus den letzten Monaten noch bewusste Glücksmomente schöpfen konnten. Ja, dafür bin ich wirklich dankbar. Diese Dankbarkeit überwiegt die Frage: „Warum gerade ich?“ Es geschieht so viel Unfassbares auf dieser Welt. Warum sollte gerade ich davon ausgenommen sein?