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Am Vormittag des 24. Dezembers packe ich meine beiden fünfjährigen Enkelinnen Mimi und Elisa ins Auto und fahre mit ihnen zum Friedhof. Sie haben Salzteigsterne und Weihnachtsbäumchen gebastelt, diese mit Farbe bemalt und mit reichlich Glitzer verziert. Damit wollen wir, zusammen mit den mitgebrachten Lichterketten, Kathis Grab für den Heiligen Abend schmücken.

Die Mädchen sind aufgeregt, haben keine Scheu vor den Gräbern und freuen sich einfach, dass wir Tante Kathi eine Freude bereiten können. Ich steige auf Kathis Grab, um die Lichterkette anzubringen. Elisa ist skeptisch und meint: „Darf man überhaupt auf ein Grab steigen?“ Offensichtlich hat ihr ein Erwachsener einmal erklärt, wie man sich auf Friedhöfen verhalten sollte. Ich beschwichtige sie kurz, dass ich ohnehin bald fertig bin, und stehe schon wieder auf dem Gehweg. „Du steigst nämlich auf ihren Körper“, erklärt sie mir. Die Sache mit der Einäscherung und der Urnenbeisetzung haben wir den beiden nie zugemutet, obwohl wir sonst offen mit Kathis Tod umgehen.

Emilia drängt dazu, die Kindergräber zu schmücken. Ich habe ihnen vor einiger Zeit die kleinen Gräber am Friedhof gezeigt und das hat eine große Faszination bei den beiden ausgelöst.

Geschäftig steigen sie zwischen den kleinen, teilweise alten Gräbern herum und verteilen ihre Salzteigsterne. Bald ist das Sackerl leer und wir machen uns auf den Weg zurück zum Auto.

Es ist still im Auto, ich bin in Gedanken versunken, wir schweigen. Nach einiger Zeit sagt Mimi unvermittelt: „Es ist schon traurig, wenn ein Kind stirbt.“ Ich bin immer wieder erstaunt über ihre Fähigkeit, Stimmungen zu spüren, und pflichte ihr bei. Wir sprechen über Verlust und Unwiederbringlichkeit und zumindest wir zwei sind uns einig. Elisa sieht die Sache pragmatischer und meint, die Verluste kann man wettmachen. „Dann musst du halt neue Freunde finden“, ist ihr Ansatz.

Ich fühle mich bemüßigt, ihnen zu erklären, dass Kathi sich über unsere Geste freut. Sie hat uns bestimmt beim Schmücken beobachtet und ist glücklich, dass wir sie auch an Weihnachten nicht vergessen haben.

Elisa meint, Kathi sitzt auf einer Wolke, während sie uns zusieht. Ich bin ein wenig ratlos, was ich dazu sagen soll, und während ich noch an einer vernünftigen, kindergerechten Antwort feile, kommt schon die nächste Frage: „Wo geht die Kathi hin, wenn es auf der Wolke regnet?“ Erzieherisch wertvoll versichere ich ihr, dass es ja nicht auf der Wolke regnet, sondern der Regen aus der Wolke nach unten fällt. Unsere liebe Kathi bleibt also trocken, Elisas Sorge ist somit unbegründet.

Nach gefühlten fünf Sekunden Stille meldet sich nun Mimi: „Das ist aber ein Blödsinn!“ Danke Kathi, dass du uns immer wieder ein kleines Zeichen gibst, dass du da bist. Und manches Mal sprichst du einfach aus deiner Nichte zu uns.

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